Herzele
Herzele
Wie ist Gott? Für mich so:
Keine einssechzig, zerbrechlich, zart,
unsicher zu Fuß und langsam am Rollator.
Ein paar grauweiße Haare tanzen frech aus der Reihe.
Die Augen leuchten, das Gesicht strahlt vor Lächeln.
„Herzele“, nennt sie mich, „ach, meine Gute …“
und greift meinen Arm noch etwas fester.
In Emma, über fünf Jahrzehnte älter als ich,
habe ich das Angesicht Gottes gesehen.
Als wir uns vor knapp vier Jahren zum ersten Mal begegneten,
war es, als kennten wir einander schon ewig,
eine geheimnisvoll schwesterliche Verbundenheit.
Sie hat mich spüren lassen, wie Gott ist:
herzlich das Gute im Menschen im Blick, auch seine Wunden,
das Beste für ihn wünschend und wollend,
treu und ganz an seiner Seite bleibend,
unerschütterlich an die Kraft der Liebe glaubend,
den Frieden suchend,
der eigenen Grenzen und Fragen bewusst,
mit einem Wort: gütig.
In den letzten Jahren verließ die körperliche Kraft sie.
Sehnsuchtsvoll streckte sie sich nach dem Himmel aus.
Ihre geistliche Kraft, ihr Charisma blieb auch in der Schwäche stark,
und so ging weiterhin ein Strom der Liebe von ihr aus.
In der Osterwoche erfüllte sich ihre Sehnsucht.
Ihre Trauerfeier ein Fest der Auferstehung und Liebe:
so viele „Herzele“ waren da,
so viele Menschen, die sie besonders berührt hat, die sie spüren ließ, wie Gott ist,
so viele „Herzele“, die ihrerseits teilen,
was Emma ihnen schenkte, was Gott ihr und ihnen schenkte.
Vielleicht ist es verrückt, doch manchmal, wenn ich bete, ist mir,
als sage Gott „Herzele, ach, meine Gute“
und greife meinen Arm noch etwas fester.